Weltweit treten immer mehr Kinder in die Primarschule ein [1], aber in einkommensschwachen Ländern besuchen beinahe 40% der Kinder nach der Primarschule keinen Unterricht mehr. Dies bedeutet, dass Millionen von Mädchen und Jungen das Bildungssystem verlassen, ohne für die Arbeitswelt genügend gerüstet zu sein.
Bildungssysteme sind in der Regel in unterschiedlichen Stufen aufgebaut: Vorschulstufe, Primarstufe, untere und obere Sekundarstufe, Tertiärstufe. Viele Kinder in einkommensschwachen Ländern haben keinen Zugang zu Bildung. Gleichzeitig verlassen zahlreiche Schülerinnen und Schüler das System am Übergang zwischen den Stufen.
Warum brechen so viele Kinder in einkommensschwachen Ländern ihre Schulausbildung ab? Neben anderen Faktoren ist Armut einer der Hauptgründe, da in diesen Ländern im Gegensatz zu vielen einkommensstarken Ländern das öffentliche Schulwesen nicht kostenlos ist. 30% der weltweiten Bildungsausgaben fallen auf Haushalte zurück. In Ländern mit kleinen und mittleren Einkommen liegt dieser Anteil bei 39%. Teilweise ist dies darauf zurückzuführen, dass wohlhabendere Familien versuchen, ihren Kindern durch private Bildung einen Vorteil zu verschaffen. Aber ein Grossteil der Ausgaben fällt im Bereich der Vorschule sowie der Primar- und Sekundarstufe an. Hier haben sich die Regierungen eigentlich verpflichtet, das Bildungsangebot kostenlos zur Verfügung zu stellen (UNESCO, 2021)[2].
Gemäss der UNESCO können rund 40% der Erwachsenen in einkommensschwachen Ländern weder lesen noch schreiben. Lesen, Schreiben und Rechnen sind aber nicht die einzigen Fähigkeiten, die es für ein erfolgreiches Leben braucht. Genauso wichtig ist es, Probleme lösen und kritisch denken zu können. Daneben sind persönliche Fähigkeiten wie Selbstdisziplin und soziale Fähigkeiten – beispielsweise im Bereich der Kommunikation – wichtig. Millionen junger Menschen in Ländern mit kleinen und mittleren Einkommen treten ohne diese grundlegenden Fähigkeiten in den Arbeitsmarkt ein. Lediglich 1% der Jugendlichen in einkommensschwachen Ländern absolviert eine technische Ausbildung oder eine Berufslehre (UNESCO, 2021[3]).
Niger bietet ein Beispiel für die Situation in vielen einkommensschwachen Ländern. Das Bildungssystem des Landes gewährt nur beschränkten Zugang, viele Schülerinnen und Schüler bleiben dem Unterricht oft fern, nur wenige schaffen es bis zum Abschluss. Ausserdem ist die Qualität der Bildung mangelhaft – nur 35% der Erwachsenen im Land können lesen und schreiben (UNESCO, 2021). Das Alternative Bildungsprogramm für Jugendliche, berücksichtigt die Bedürfnisse des lokalen Arbeitsmarkts, bindet Akteure ein und ermöglicht ihnen Teilhabe. Das Programm erlaubt es jungen Mädchen und Jungen zwischen 9 und 14 Jahren, die entweder nicht zur Schule gehen oder die Schule abgebrochen haben, sich grundlegende Fähigkeiten anzueignen, eine Anstellung zu finden oder sich selbstständig zu machen und damit ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. 16 000 Mädchen und Jungen von 9 bis 14 Jahren haben das alternative Bildungsprogramm erfolgreich abgeschlossen. Swisscontact unterstützt die berufliche Weiterbildung der Lehrpersonen und die allgemeine Verbesserung der Lehr- und Lernbedingungen. Darüber hinaus arbeitet Swisscontact mit den Behörden zusammen, die das alternative Bildungsprogramm ins nationale Bildungssystem integriert haben. Neben der Schulbildung stützt dieses Programm, welches von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA finanziert wird, auch die Entwicklung der lokalen Wirtschaft.
Es braucht mehr Bildungssysteme, die der Tatsache Rechnung tragen, dass das Leben nicht immer nach Plan verläuft, und deshalb Flexibilität bieten und lebenslanges Lernen ermöglichen. Die meisten Entwicklungen im Leben verlaufen nicht linear. Dasselbe gilt auch für den Bildungsweg, speziell im Zusammenhang mit Armut. Es braucht Bildungsinitiativen und -programme, die es Menschen aller Altersgruppen erlauben, sich grundlegende Fähigkeiten anzueignen, die sie im Rahmen ihrer Basisbildung nicht erwerben konnten. Zudem braucht es Ausbildungsprogramme, die Arbeitsbereitschaft und technische Fähigkeiten mit grundlegenden Fähigkeiten verknüpfen, damit mehr Menschen die Möglichkeit haben, eine ertragreiche und sinnvolle Tätigkeit als Angestellte oder Unternehmerinnen oder Unternehmer zu finden.
Und nicht zuletzt braucht es inklusivere Bildungssysteme, denn inklusive Bildung schafft inklusive Gesellschaften, in denen Menschen in Gemeinschaft leben können und Diversität gefördert wird. Dies ist eine Voraussetzung für Demokratien, die auf Fairness, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung basieren[4].
[1] Gemäss UNICEF gehen jedoch noch immer 260 Millionen Kinder weltweit überhaupt nicht zur Schule.
[2] UNESCO, 2021. Weltbildungsbericht 2021/22: Nichtstaatliche Akteure in der Bildung: Wer hat die Wahl? Wer verliert?
[3] Ebd.
[4] Slee, R. 2020. Defining the Scope of Inclusive Education. Paris, UNESCO. (Hintergrundpapier zum Weltbildungsbericht 2020.)